Donnerstag, 4. August 2011

Syriens Christen leiden

An sich gilt Syrien als Hochburg religiöser Toleranz im arabischen Raum. Dennoch ertönt die bange Frage: Kommt es im Fall des Umsturzes zum Bürgerkrieg? Auf einer Fläche, die halb so gross ist wie Deutschland, leben mehr als ein Dutzend ethnische oder religiöse Gemeinschaften. Und das Regime spielt Schach mit ihnen, berichtet die Neue Zürcher Zeitung.

Die Geschichte Syriens liest sich wie die gesammelte Menschheitsgeschichte – Phönizier, Assyrer, Aramäer, Perser, Chaldäer, Mazedonier, Römer, Muslime, Kreuzritter, Kurden, Mongolen, Osmanen. Erst im 20. Jahrhundert wurde Syriens arabische Identität besiegelt und durch die 1963 an die Macht gelangte Baath-Partei indoktriniert: Nicht der islamische Glaube sollte das vereinigende Band sein, sondern die – arabische – Ethnie. Wohin also mit den Kurden (je nach Quelle 2,5 bis 4 Millionen der 23 Millionen Syrer), den Armeniern, die 2 Prozent der Bevölkerung ausmachen, den Tscherkessen, Turkmenen oder aramäisch sprechenden Christen (jeweils unter 1 Prozent)? Die jahrtausendealte Präsenz der Letzteren manifestiert sich nicht zuletzt in ihrem Namen «Syrien» – noch heute bezeichnen die Aramäer ihr Volk als «Suryani».

All dies aber passte nicht länger in ein Konzept, das auf Zwangsarabisierung hinauslief. «Erst vergangenen September wurden zwei christliche Assyrer-Aramäer verhaftet, weil sie bei einem Konzert ihre Flagge geschwenkt haben», erzählt der syrische Historiker Kamal Sido. Dabei erlaube die syrische Verfassung explizit eine freie Religionsausübung – sofern man kein Yezide ist.

Syriens Christen, die um die 10 Prozent der Bevölkerung ausmachen, geben sich derzeit inbrünstig nationalistisch – denn sie betrachten die säkulare Baath-Partei als eine Art Lebensversicherung. So wundert es nicht, dass gerade die Kirchen der Armenier, die überdies eine ethnische Minderheit bilden, als Rekrutierungsorte für Parteimitglieder bekannt sind. Tendenziell – wenngleich weniger offenkundig – loyal zum Regime verhält sich auch die Mehrheit der Drusen, die 3 bis 4 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Die ob ihrer Religion von Sunniten wie Christen verächtlich beäugte Gemeinschaft dient in der Armee – oder wahrt angesichts der derzeitigen Unruhen betontes Schweigen.

(Aus den NZZ)