Dienstag, 21. Mai 2013

Befreiung gepaart mit Traditionen der Volksreligiosität

Juan Carlos Sannone sj
Jorge Mario Bergoglio galt als «Kardinal der Armen». Er folgte der «Theologie des Volkes». Diese kommt ohne die marxistischen Elemente der Befreiungstheologie aus, wie Theologin Margrit Eckholt erläutert.

Von einer – noch viel blutigeren als der brasilianischen – Militärdiktatur blieb auch Argentinien nicht verschont.
Diese setzte aber erst später, im Jahr 1976, ein; zugleich bedeutete dies auch das Ende des Peronismus. Bereits in der ersten Hälfte der siebziger Jahre hatten Theologen wie Lucio Gera und der Jesuit Juan Carlos Scannone eine neue Gestalt der Theologie entwickelt. Sie griffen dabei auch den Befreiungsgedanken auf, betteten dies aber stärker als andere in eine Kulturanalyse und Kulturphilosophie ein, griffen auf Traditionen der Volksreligiosität und deren emanzipatorische Potenziale zurück. Der argentinische Theologe Lucio Gera, von Papst Franziskus hoch geschätzt, hat an den beiden grossen Konferenzen der lateinamerikanischen Bischöfe in Medellín (1968) und Puebla (1979) teilgenommen und hat vor allem im Anschluss an Puebla die Teología del pueblo als spezifisch argentinische Gestalt der Befreiungstheologie entwickelt. Die Hochschätzung durch Kardinal Bergoglio drückte sich auch dadurch aus, dass Gera in der den Bischöfen vorbehaltenen Krypta der Kathedrale von Buenos Aires im August 2012 bestattet wurde. Die Kirche positionierte sich damit eindeutig an der Seite der Armen, allerdings ohne auf politische Veränderungen zu dringen.

Dienstag, 7. Mai 2013

Bischof Enrique Angelelli 1976 ermordet

Enrique Angelelli
Jorge Mario Bergoglio galt als «Kardinal der Armen». Er folgte der «Theologie des Volkes». Diese kommt ohne die marxistischen Elemente der Befreiungstheologie aus, wie Theologin Margrit Eckholt erläutert.

Nach der Wahl von Jorge Mario Bergoglio zum Papst wird seine Rolle als Provinzial der Jesuiten in der Militärdiktatur kritisch beleuchtet. Hätte sich die argentinische Kirche nicht stärker gegenüber den Militärs positionieren müssen?
Richtig verstanden, hat ein kirchliches Engagement für die Armen, für Menschenrechte und Menschenwürde immer auch politische Konsequenzen. Wenn Vertreter der Hierarchie in Argentinien sich daran orientiert hätten, wäre es sicher möglich gewesen, stärker die Stimme zu erheben und sich eindeutiger an der Seite der Opfer der Diktatur zu positionieren. Die chilenische Kirche hat das zum Beispiel durch die Einrichtung der «Vicaría de la Solidaridad» getan. Erst vor wenigen Jahren hat sich die argentinische Bischofskonferenz bereit erklärt, an der Aufklärung der Ermordung des Bischofs von La Rioja, Enrique Angelelli, im Jahr 1976 mitzuwirken. Ein Urteil möchte ich mir da aber als deutsche Theologin einer nachgeborenen Generation nicht anmassen, das steht erst einmal der argentinischen Kirche selbst zu.
Es sind offenbar noch viele Fragen offen.
Es gilt noch vieles aufzuarbeiten, was die Rolle der argentinischen Kirche während der Militärdiktatur betrifft. Wichtig sind nun die Öffnung der Archive und ein offener Dialog aller beteiligten Parteien, vor allem aber das Augenmerk auf die Berichte der Opfer. Dabei müsste die argentinische Kirche eine aktive Rolle übernehmen, die Erinnerung an die Opfer wachhalten und selbst, im Rahmen ihrer Möglichkeiten, zur Aufklärung der Verbrechen beitragen, um dadurch glaubwürdiger im gesellschaftlichen Versöhnungsprozess mitwirken zu können.